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Uniform und militärische Strukturen

Am Samstag fand in unserer Gemeinde der Adventsbasar statt. Wir veranstalten ihn immer am Tag vor dem Ewigkeitssonntag, damit anschließend noch eine Woche Zeit ist, die neu erworbenen adventlichen Sachen zu Hause aufzustellen oder an liebe Freunde zu verschenken.
Um für die Veranstaltung zu werben haben wir ein kleines Video auf unserer Facebookseite geschaltet. In diesem Video erzählen wir auch von unserer Arbeit mit Obdachlosen am Einsatzwagen. Matthias trägt in dem Beitrag seine volle Uniform - das ist schließlich unsere offizielle Dienstkleidung.
Im Anschluss an den Basar kommentierte eine Besucherin, dass dieser "toll" gewesen sei. Daraufhin fügte ein Mitleser kritisch hinzu: "Uniform und militärische Strukturen sollen toll sein?".

Eine verständliche Nachfrage! Ich persönlich bin auch kein Fan des Militärs. Mir wäre es viel lieber, wenn die Welt ohne Armeen jeder Art auskäme. Als ich zum ersten Mal von der Heilsarmee gehört habe war ich ebenfalls skeptisch. Was ist das für eine seltsame Organisation? Wie sollen christlicher Glaube und Militär zusammenpassen?
Abgesehen von der Entstehungsgeschichte der Heilsarmee gibt es mehrere Gründe, warum zumindest für mich Name und Form der Heilsarmee schnell Sinn machten.

1. "Die Not in der Welt hört nicht auf gute Worte." Dieses Zitat nutzt mein Mann gern, um unsere Erscheinungsform zu erklären. Von Anfang an ging es den Menschen in der Heilsarmee darum, Menschen in Not zu helfen: und das nicht nur mit frommen Sprüchen, sondern ganz praktisch. Wer schon einmal einem bedürftigen Menschen mehr Aufmerksamkeit zugewandt hat als ein Geldstück in einen Becher zu werfen, der weiß: so schwierige Lebensumstände erfordern echten Einsatz. Hier kämpfen Menschen mit seelischen Verletzungen, finanzieller Schieflage, Suchtproblematik, psychischen Erkrankungen und einer riesengroßen Hoffnungslosigkeit. Wenn sie sich auf tiefer gehende Hilfe einlassen, dann brauchen sie jemanden, der für sie kämpft. Es ist eine (sehr wertvolle!) Sache, sich für eine Einzelperson stark zu machen. Eine andere Sache ist es, Hilfe für eine größere Menge Menschen mit ähnlichen Herausforderungen anbieten zu können.
In East London von 1865 sah dieser Kampf gegen das Elend noch extremer aus als heute in Deutschland mit einem ziemlich guten sozialen Hilfesystem. Lesefreudigen Personen empfehle ich die Lektüre von Jack Londons "Menschen der Tiefe" (in anderer Übersetzung: Die Menschen des Abgrunds).
Natürlich könnte man einen sanfteren Namen für eine Hilfsorganisation finden. Davon gibt es auch viele, und das ist gut so. Die Heilsarmee stellt sich aber auch durch ihren Namen der Tatsache, dass das Leid in der Welt an mancher Stelle wirklich bekämpft werden muss.

2. Hilfsorganisationen bedürfen einer sinnvollen Struktur, um schnell und effektiv einsatzfähig zu sein. Besonders macht sich das in der Katastrophenhilfe bemerkbar. Die militärische Organisation ist an dieser Stelle besonders effektiv: manchmal ist es einfach sinnvoll, wenn Befehle gegeben und befolgt werden, statt erst einmal alles lange in Gremien und Sitzungen zu besprechen. Bei der Flutkatastrophe im August 2002 in Sachsen war die Heilsarmee dadurch zum Beispiel mit ihren mobilen Suppenwagen schneller vor Ort als die Bundeswehr. Für eine Weile versorgten wir in Meißen einige dort helfende Soldaten mit Essen, bevor deren offizieller Versorger die Logistik entsprechend geregelt hatte.
Die Heilsarmee entspricht an dieser Stelle aber nicht mehr den Erwartungen der Außenstehenden. Auch in unserer Organisation werden mittlerweile Entscheidungen in breiteren Gremien getroffen. Wir als Offiziere  (in unserem Fall Kapitäne) müssen Befehle nicht willenlos befolgen, sondern werden dort, wo es sinnvoll ist, in Entscheidungsprozesse einbezogen.

3. Jede Berufsgruppe hat ihre eigene Dienstkleidung. Ziemlich praktisch: eine Krankenschwester ist im Krankenhaus meist recht einfach von einem Heizungsmonteur zu unterscheiden (man weiß also, von wem man sich die Spritze geben lassen sollte, und von wem besser nicht). Auf der Straße erkennt man die Polizistin, während der Bahnbeamte sich ganz gut vom Rettungssanitäter abgrenzen lässt.
Ähnlich funktional ist die Uniform der Heilssoldaten (auch Salutisten genannt). Ich gebe zu, in Deutschland werde ich, in Uniform reisend, oft nach der Abfahrt eines Zuges gefragt. Auch für eine Stewardess wurde ich schon gehalten, während mein Mann stets als Feuerwehrmann bezeichnet wird. Aber, auch wenn in Deutschland die Heilsarmeeuniform Verwechslungen unterliegt: bei den Personengruppen, mit denen wir vorrangig arbeiten, sind wir bekannt. Die Uniform schützt ihre Träger bei der Arbeit auf der Straße, sie öffnet unseren weiblichen Mitarbeiterinnen die Türen zu den Menschen,die z.B. auf St.Pauli ihr Geld unter schwierigen Umständen verdienen. Sie macht uns sichtbar, wenn wir unterwegs sind. Das führt zu Situationen wie die, die meine Kollegin auf einem großen Flughafen in Kanada erlebte: Sie stand in Uniform dort, selbst auf einen Flug wartend. Plötzlich kam eine aufgeregte junge Frau herbei und drückte ihr ein Baby in den Arm, mit den Worten: "Halten Sie es kurz, ich muss etwas erledigen!" Sprach´s und verschwand, um eine bürokratische Angelegenheit zu klären. Der Mutter in Bedrängnis war klar: Diese Uniform steht für Sicherheit!
Übrigens wird die volle Uniform hier in Deutschland nur selten getragen. Wir wissen, dass es in der Geschichte unseres Landes sehr dunkle Kapitel mit Militärbeteiligung gab. Deshalb ist unser Logo, das wir auf Jacken, T-shirts, Briefen und Gebäuden der Öffentlichkeit präsentieren, vielleicht sogar bekannter als die Uniform.

So, nachdem ich nun diese Erklärung für unser Erscheinungsbild geschrieben habe werfe ich mich in meine warme Heilsarmeejacke und mache mich auf den Weg zu einer hilfesuchenden Person, mit der ich heute an einem S-Bahnhof verabredet bin.
Meinen Mann könnt ihr in diesem Moment (heute von 12 bis 16 Uhr) am Ostbahnhof und auf dem Alexanderplatz treffen, wo er - in voller Uniform ;) - gemeinsam mit Ehrenamtlichen warme Suppe an Bedürftige verteilt. Lasst euch ruhig auch einen Kaffee geben und kommt einmal mit diesen Menschen ins Gespräch, die Uniform und militärisches Auftreten vielleicht nicht "toll", aber doch sehr zweckmäßig finden.




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